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Aktienrente: notwendig oder Geschenk an die Wirtschaft?

Ortsverband

Bei unserem monatlichen Treffen im Januar diskutierten wir die geplante Aktienrente der Ampelkoalition.

 

Der Status quo der Rente in Deutschland

  • Laut neuestem OECD-Rentenbericht 2021 liegt das Rentenniveau in Deutschland mit 42 Prozent deutlich unter dem europäischen Schnitt von 51 Prozent. Spitzenreiter ist dagegen Dänemark: Ein Däne, der mit 22 Jahren ins Erwerbsleben eintritt, bekommt später eine Rente von 75 Prozent des vorherigen Lohns. [1]
  • Dietmar Bartsch hat ausgerechnet, dass im Moment 45 Jahre lang durchgehend 2.650 Euro brutto verdient werden muss, um dann weniger als 1.100 Euro Rente netto in der Tasche zu haben. Neben dem Problem zu geringer Löhne (mehr dazu unten), ist vor allem die Rentenformel verantwortlich für das geringe Rentenniveau. Zu Helmut Kohls Zeiten lag das Rentenniveau übrigens bei 53 Prozent. [2]
  • Fakt ist aber auch: Die Lebenserwartung steigt, es gibt immer weniger junge Beitragszahler und die Babyboomer gehen bald in Rente. [3] [4]

 

Was hat die Ampel also vor und was verspricht sie sich davon?

  • Das Vorbild ist Schweden. Dort gehen 2,5 Prozent aller gesetzlichen Rentenbeiträge in Aktienfonds und werden dort gewinnbringend angelegt. Der Rest geht weiterhin in die umlagefinanzierte Versicherung. Im Auftrag der FDP hat Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum, das Schweden-Modell untersucht. Er kommt zu dem Schluss: Kapitaldeckung ist die einzige Alternative zur Umlagefinanzierung, um ein auskömmliches Rentenniveau ohne Erhöhung der Rentenbeiträge zu schaffen. Die Verlustrisiken sind dabei durch international breit gestreute Fonds begrenzt, die Rendite dagegen höher als bei anderen Anlageformen (zwischen acht und zehn Prozent pro Jahr). [5] [4]
  • Darauf basierend sollen in Deutschland also zwei Prozent der Rentenbeiträge als dauerhafter Fonds global angelegt werden. Das klingt zwar erstmal wenig, bedeutet aber zwei Prozentpunkte der 18,6 Prozent Rentenbeitrag vom Bruttolohn, die aktuell bezahlt werden. Jemand mit 50.000 Euro Bruttoverdienst investiert in diesem Modell also 1.000 Euro in Aktien pro Jahr. [4]
  • Einschränkend muss gesagt werden: Vorerst wird noch nicht das Geld der Beitragszahlenden verwendet. Im Jahr 2022 wird “testweise” ein Kapitalstock von zehn Milliarden Euro aus Haushaltsmitteln am Kapitalmarkt investiert. Darüber hinaus ist noch nicht klar, ob das Modell dann wie geplant weitergeführt wird. [5] [4]
  • Neben der staatlichen Rente soll laut Koalitionsvertrag übrigens auch die private Vorsorge (beispielsweise Riester) reformiert werden. Hier ist von einer Ausweitung auf Anlageprodukte mit mehr Rendite die Rede, was ebenfalls die vermehrte Investition in Aktien bedeuten würde. In diesem Zusammenhang fällt überdies das Stichwort “Abwahlmöglichkeit”, was bedeutet, dass in Zukunft jeder Beitragszahlende automatisch für private Vorsorgeleistungen bezahlt, solange nicht explizit widersprochen wird. [5] [4]

 

Was spricht gegen die Aktienrente und was wären Alternativen?

  • Zunächst wirkt eine solche Rentenfinanzierung regressiv. Wenn also verpflichtend für alle zwei Prozent des Gehalts renditestark angelegt werden, profitieren Gutverdienende eben mehr als Geringverdienende. [4]
  • Das Risiko bleibt. Auch wenn Aktienkurse und Indexfonds seit Jahrzehnten steigen, kann ein Crash nicht ausgeschlossen werden. Zumal mit staatlichen Aktieninvestments die Entstehung von Blasen weiter gefördert werden. [4] [6]
  • Die profitabelsten Anlageformen sind im Moment Aktienindexfonds wie ETFs, die zum Beispiel den MSCI World abbilden. Dort haben folgende Firmen den größten Anteil am Index (absteigend sortiert): Apple, Microsoft, Amazon, Tesla, Google, Facebook. [7] . Es ist schlicht problematisch, wenn staatliche Rentenkassen in diese Unternehmen investiert sind.
  • Die Alternative wäre, das Umlageverfahren zu verbessern, denn das ist das stabilste Rentensystem das es gibt: [8]

- Es kommt ohne Ansparprozess aus: Die Rentenbeiträge sowie der steuerfinanzierte Bundeszuschuss zapfen direkt die Wirtschaftskraft des Landes an und werden praktisch sofort als Renten ausgezahlt (man hat aus der Geschichte gelernt: in der Weimarer Republik waren die Ersparnisse der Rentenkasse durch die Hyperinflation entwertet und später von der Nazi-Herrschaft zur Kriegsfinanzierung missbraucht worden). Damit ist die Rente krisenresistent. Die Inflation spielt praktisch keine Rolle, da kein Geld auf die hohe Kante gelegt wird. Das Zinsniveau ist aus demselben Grund ohne Bedeutung.

- Das Umlageverfahren ist günstig: Die Deutsche Rentenversicherung, die jedes Jahr mehr als 300 Milliarden Euro einnimmt und sofort wieder auszahlt, kommt mit einem Kostensatz von 1,3 Prozent aus. Die privaten Renten- und Lebensversicherungen produzieren hingegen Kosten in Höhe von mehr als zehn Prozent ihrer Einnahmen.

- Heutige Rentenversicherte werden mit der staatlichen Rente eine Rendite von ca. drei Prozent erzielen. Das ist für ein risikoloses Anlageprodukt im Moment unschlagbar.

- Die Demografie ist dabei nur ein scheinbares Problem: Sie entwickelt sich in Deutschland schon seit Jahrzehnten in dieselbe Richtung, aber das Umlageverfahren wurde (bisher) durch Lohnsteigerungen ausgeglichen. Das Problem ist also, dass die Lohnentwicklung nicht mit dem Produktivitätsfortschritt Schritt hält. Man könnte sagen: Die Produktivität schlägt die Demografie, solange die Löhne der Arbeitnehmenden nicht beschnitten werden. [9]

- Schließlich würde eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze Sinn machen, also der Punkt, ab dem für höhere Einkommen der Rentenbeitrag nicht mehr mit dem Einkommen steigt (ab 2022: 84.600 Euro Jahresgehalt). Das würde die Umlagefinanzierung stärken und hätte mehr Umverteilungscharakter. [4]

- Außerdem sollten alle Arbeitenden in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen: Beamte, Selbständige, Abgeordnete. [4]

 

Fazit

Die geplante Aktienrente ist aus der Not geboren und gleichzeitig wird das bewährte Umlageverfahren bewusst vernachlässigt. Die Beiträge und Löhne werden nicht der Produktivität und Demografie angepasst, was das Umlageverfahren stärken würde. Somit wird eine neoliberale Rentenpolitik fortgeführt nach dem Motto: Wirtschaft first, Sozialstaat second.